Trauer und Glück- Wie geht das zusammen?
Ja!
Ich stehe heute vor dem Spiegel und wundere mich. Ich sehe eine Frau, die in sich ruht und glücklich ist. Dankbar für diese innere Stärke und gleichzeitig verwirrt. Ich müsste eigentlich traurig sein- so habe ich es mir immer vorgestellt. Wenn meine geliebte Mutter stirbt- nicht mehr da ist, nicht mehr die Fotos in Whats App meiner kleinen Kinder liebevoll kommentiert und nicht mehr mein Leben begleitet- dann müsste ich auf immer untröstlich sein.
Aber ich bin es nicht- nicht mehr.
Ja, ich bin traurig!
Ja– wenn ich ihre Lieblings- Creme bei jemanden anderem rieche, vermisse ich sie so, dass es weh tut!
Ja– als ich nach ihrem Tod die Fotos nicht schicken konnte mit dem Wissen, dass sie antwortet, da hab ich monatelang keine Fotos gemacht!
Ja– ein Stück weit bleibe ich untröstlich und das ist gut so!
Wo uns seit meiner Geburt ein unsichtbares Band, gewoben aus unerschöpflicher gegenseitiger Liebe, verbunden hat, da ist jetzt Trauer. Trauer ist ein unendlich wertvolles Gefühl, es zeigt uns, was sich lohnt zu bewahren.
Trauer als Wegweiser
Deshalb war meine Trauer mein Wegweiser im vergangenen Jahr auf der Suche, was ich bewahren und in die Zukunft mitnehmen möchte. Das hieß aber auch, dass es mir gezeigt hat, was ich mit dem Tod meiner Mutter loslassen durfte.
Besonders aufgefallen ist es mir bei einer engen Freundin, die sich über die Überfürsorglichkeit und Einmischungen in ihre Erziehung durch ihre Mutter beschwerte und in meinem Kopf nur war: „Freu dich doch über jeden Moment mit ihr- du hast sie wenigstens noch.“
Wie oft ging es mir vorher, wie meiner Freundin. Wie oft habe ich mich auch geärgert, wie oft habe ich meine Mutter verändern wollen und mir gewünscht, sie würde das oder jenes lassen…
Diese negativen Gefühle durfte ich loslassen, weil meine Trauer mir gezeigt hat, was mir wichtig, wertvoll und bewahrenswert ist.
Wenn die Trauer heute über mich kommt, dann frage ich mich, was sie mir heute sagen will. Sie kommt (eigentlich echt zuverlässig) dann, wenn ich mal wieder zu viel im „Außen“ war, über meine Kräfte gelebt und zu wenig geschlafen habe… Dann zeigt mir meine Trauer, was „da draußen“ sich lohnt und was nicht.
Sie ist ein wunderbarer Coach und verbindet mich mit mir selbst- vorausgesetzt ich höre ihr zu und erlaube mir inne zu halten und ihr Raum zu geben.
Trauer- Jetzt!
Wann hat mich im letzten Jahr die Trauer umgehauen?
Nicht an ihrem Geburtstag, nicht am Todestag- nein völlig überraschend: Am Muttertag (eigentlich lag uns beiden nichts an diesem „Kommerz-Tag“)! Im Radio lief seit Tagen Werbung für verschiedenste (kommerzielle) Möglichkeiten seiner Mutter zu sagen, dass man sie liebt. Da ließ mich ein Gedanke nicht los- kam immer wieder hoch: „Hab ich ihr oft genug gesagt, dass ich sie liebe?“ Ich kann es nur hoffen, dass wenn meine Worte nicht ausreichten, meine Blicke es gesagt haben und sie spätestens in den Tagen vor ihrem Tod bis in die letzte Faser ihres Körpers gespürt hat, das ich sie liebe.
Aber was wollte mir meine Trauer am Muttertag sagen?
Stop- halt an- und sag allen, die du schätzt, dass es so ist!
Es kann morgen schon zu spät sein!
Seit meine Trauer diesen Wegweiser eingerammt hat, lebe ich und ich lebe anders! Glaub mir, die Nacht am 1.5. war hart- härter als die Nacht nach Mamas Tod. Aber wenn ich zurück schaue, bin ich dankbar für die Trauer dieser Nacht.
Ein letzter Baustein hat aus meiner Trauer ein Trauerglück werden lassen. Meine Trauer war gefühlt riesig, weil das Gefühl immer war: „Mama ist zu früh gestorben. Vor dem Rentenalter stirbt man doch jetzt nicht mehr. Das ist unfair, ungerecht und total gemein- immerhin hat sie immer auf ihre Gesundheit aufgepasst, sich vieles verwehrt (also Eis und Süßes etc.), damit ihr Körper fit ist, und und und.“
An dieser Stelle hat es länger gedauert, bis ich verstanden hatte, was meine Trauer mir da sagen wollte. Meine Idee, die langsam in mir wuchs (und seitdem tut der Gedanke nicht mehr so weh): die Trauer hat mein Bild des Lebens auf den Kopf gestellt, ich hatte das Gefühl noch ewig Zeit zu haben und nach Rentenbeginn fängt das Leben erst richtig an, da kann ich dann…
Mein Kopf weiß, dass es jederzeit vorbei sein kann, aber tief im Herzen habe ich es erst verstanden, als ich meiner Trauer zuhören konnte. Ich will leben- so wie meine Mutter es wollte. Aber der Zeitpunkt meines Todes liegt außerhalb meiner Verantwortung und außerhalb meiner Machbarkeit.
Dieser Gedanke könnte mich ohnmächtig machen, oder er motiviert mich jeden Tag bewusst zu gestalten. Ich habe mich für die zweite Version entschieden.
Und dann hatte ich Glück, weil mir die richtigen Bücher, die richtigen Ideen und die richtigen Menschen begegnet sind, die mir geholfen haben zu verstehen, warum ich an manchen Stellen unzufrieden bin und wie ich aus der Ohnmacht in die Verantwortung und damit in die Fülle komme. Zugegeben, ich fühle mich wie ein kleines Mädchen, dass auf einer langen Wanderung gerade ihre ersten Schritte macht. Aber: nicht mehr gelebt zu werden, sondern zu leben mit allen Emotionen, die damit verbunden sind, ist das größte Geschenk meiner Trauer.