Scham in der Trauer aushalten

Scham in der Trauer ist wie ein inneres Strafgesetzbuch, nach dem ich mich selbst verurteile
Scham in der Trauer ist wie ein inneres Gesetzbuch nach dem wir uns verurteilen

Ich habe noch keine Trauerbegleitung gemacht, ohne der Scham in der Trauer zu begegnen.

„Hat es wirklich diesen Tod gebraucht, dass ich es endlich checke, was mir wirklich wichtig ist?“, „Ich bin so erleichtert, dass sie endlich gestorben ist, ich konnte einfach nicht mehr.“ „Ich hätte es merken müssen, wie unglücklich er ist, dann wäre er jetzt vielleicht noch am Leben.“ „Ich habe mich neu verliebt, aber wie kann ich so schnell schon wieder glücklich sein?“

Egal welche Form der Scham, Scham in der Trauerbegleitung begegnet mir als Trauerbegleiterin immer wieder.

Scham taucht auf, wenn unsere soziale Ich- Identität bedroht ist. Wir denken über uns nach und urteilen über uns selbst anhand von moralischen Überzeugungen und Werten. Wenn dieses Urteil negativ ausfällt, hat die Scham die Aufgabe uns Menschen vor solchen sozialen „Regelverstößen“ zu bewahren oder nach einem Fehltritt andere Menschen zu beschwichtigen. Sie zielt auf Zusammenhalt.

Genau dieses Wissen hilft mir als Begleiterin nach diesen Überzeugungen und Werten zu fragen und sie gegebenenfalls neu verhandeln zu lassen.

Ein Beispiel aus der Praxis

Ein Vater eines ca. 35 jährigen Sohns bittet mich um Hilfe, weil er seinem Sohn „beichten muss“, dass er sich nach dem Tod der Mutter neu verliebt hat. Er hat große Angst, dass er von seinem Sohn abgelehnt wird.

Im Coaching erzählt er von dem Kennenlernen der neuen Partnerin und schaut zu Boden. Nur vorsichtig hebt er den Blick, um zu sehen, wie ich darauf reagiere, dass der Tod seiner Frau zu diesem Zeitpunkt erst 6 Monate her ist.

Ich sehe in diesem Moment, was er noch nicht aussprechen kann. Die Mimikresonanz© in der Trauerbegleitung hilft mir hier die Scham in der Trauer zu sehen. Ich sage in etwa: „Sie haben das Gefühl gegen eine Regel verstoßen zu haben mit dieser schnellen Neuorientierung, oder?“

„Ja!“

„Da gibt es so ein dickes fettes Strafgesetzbuch in Ihnen, darin stehen so Gesetze drin, nach denen Sie sich selbst ver-urteilen, richtig?!“

Mit dieser Metapher kann der Vater sehr gut arbeiten. Wir erarbeiten die Gesetze, die bisher für ein Vergehen verhängten Strafen und auch die strafmildernden Umstände. Daraufhin kann er sogar von sich aus überlegen, ob das Strafgesetzbuch seines Sohnes genauso ist und kommt zu den so wichtigen Überlegungen: „Ich habe ihm vieles in dem Gesetzbuch leider weitervererbt, aber er würde sich für mich freuen. Ich bin ja auch nur ein Mensch. Vielleicht kann dieses Gespräch mit meinem Sohn ja sogar ein Anfang sein auch sein Gesetzbuch umzuschreiben?“

So wächst in den folgenden Minuten ein neues viel stärkenderes und auf Vertrauen bauendes Gesetzbuch in seinem Inneren. Am Ende sehe ich einen geneigten Kopf mit einem nach innen gekehrten Lächeln und einer Hand auf dem Herzen.

Tief berührt verabschieden wir uns.

Scham in der Trauer hilft

Diese Scham in der Trauer wollte dafür „sorgen“, dass die Beziehung zu dem Sohn bestehen bleibt. Im Trauercoaching konnte sie ihre ganze Kraft entfalten.

Eine kleine Bemerkung am Ende: „Früher“ hätte ich in etwa das gesagt: „Sie brauchen sich doch für die neue Liebe nicht schämen, das ist doch etwas ganz Schönes und er wird sich sicher für Sie freuen.“

Das war immer gut gemeint, aber oft genug habe ich in ähnlichen Situationen großen Widerspruch geerntet. Kein Wunder, denn die Scham durfte ihre Aufgabe nicht erfüllen und wurde „weggetröstet“ ohne sie ernst zu nehmen. Dieser Widerspruch ließ mich oft hilflos zurück.

Der andere Weg durch die emotionssensible Trauerbegleitung mit Hilfe von emTrace und der Mimikresonanz© ist so viel sinnstiftender für mich und die Trauernden. Ich bin unendlich dankbar, das gelernt zu haben.

Das Ergebnis

Du willst wissen, was der Vater erlebt hat? Sein Sohn hat gesagt: „Wusste ich doch schon längst, du warst so anders in den letzten Wochen. Ich freue mich sehr für dich.“ Und der Vater hat viel über seinen Sohn gelernt, als er ihn nach seinem Gesetzbuch gefragt hat.